Gibt es bei Reisen auch eine Midlife-Crisis?

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Abbrechen oder weitermachen?

Mittlerweile sind es schon fast vier Monate, seit wir unsere Reise ins Unbekannte gestartet haben. Inzwischen waren wir zwei Monate auf Gran Canaria, einen Monat in Portugal und einen weiteren Monat in Norwegen. Die nächsten Ziele stehen auch schon etwas länger fest: Wir werden ungefähr eine Woche in Schweden verbringen und dann unser neues Zuhause auf Zeit in Kopenhagen beziehen. Dort werden wir dann einen weiteren Monat verbringen. Dann ist der 08. August und alles, was danach kommt steht noch in den Sternen.

Planung einer Reise

Das Planen im Voraus

Wir haben von Anfang an nicht sehr weit im Voraus geplant – 2 bis 3 Monate Planungssicherheit reichten meistens aus, um uns ein Gefühl von Sicherheit zu geben und doch noch genug Spielraum für spontane Entscheidungen zu lassen. Jetzt ist es aber so, dass wir dringend ein Reiseziel für die Zeit nach Kopenhagen in ungefähr einem Monat bräuchten und irgendwie auf dem Schlauch stehen.

Das wir uns einfach nicht entscheiden können, wie unsere Reise weitergeht hat mehrere Gründe. Zum einen ist im August fast überall Hochsaison. Die Unterkünfte sind komplett ausgebucht und wenn doch noch etwas frei ist, ist es unbezahlbar. Da wir unsere Reise auf Europa beschränken gehen uns so langsam aber sicher die Reiseziele aus.

Außerdem hat sich mit jedem Reiseziel ein immer klarer werdendes Bild davon abgezeichnet, wie wir eigentlich leben wollen. Die Verhältnisse, die wir in Kopenhagen vorfinden werden entsprechen schon fast zu 100 % dem Reiseleben, das wir uns vorstellen. Das nochmal zu toppen ist gefühlt unmöglich und selbst etwas mit dem gleichen Standard zu finden ist extrem schwierig. In unseren Köpfen bleibt dann nur unsere Heimat als nächste Reisemöglichkeit. Zu guter Letzt und wahrscheinlich der Punkt, der am schwersten wiegt: Wir sehen uns nach einem Leben, dass wir so vermutlich nur mit einem festen Wohnsitz haben können.

Einsamkeit auf Reisen

Was uns auf Reisen fehlt

Am meisten fehlen uns soziale Kontakte. Die Art und Weise, wie wir reisen macht es fast unmöglich, neue Leute kennenzulernen. Wir sind immer nur jeweils einen Monat an einem Ort und leben unser Leben, wie Einheimische. Das heißt, dass wir unter der Woche arbeiten, einkaufen gehen, kleinere Ausflüge zum Spielplatz oder an den Strand machen und am Wochenende die Zeit als Familie verbringen. Wir haben meistens kein Auto und haben uns bewusst dazu entschieden, außerhalb der Stadt zu wohnen. Zum einen, weil es preislich gar nicht anders möglich ist, zum anderen weil uns die Natur um uns herum sehr wichtig ist. Unsere sozialen Kontakte gehen also nicht über Smalltalks mit unseren Airbnb Hosts und zufälligen Begegnungen auf dem Spielplatz oder an der Supermarktkasse hinaus.

Wir haben das Gefühl, dass besonders Rafael seine Kontakte mit anderen Menschen über Mama und Papa hinweg ausweiten möchte. Er fragt oft nach anderen Kindern, interessiert sich sehr für Oma und Opa und wir haben manchmal das Gefühl, seinen Wünschen nicht richtig gerecht werden zu können.

Besonders hier in Norwegen ist es etwas einsam. Die nächste Stadt ist 8 Kilometer entfernt, Busse fahren nur sehr selten, die Häuser im Umkreis von 3 Kilometern können wir an einer Hand abzählen. Hier hatten wir so richtig viel Zeit einfach mal in uns zu gehen, uns über verschiedene Sachen bewusst zu werden und das war wirklich schön. Nach 3 Wochen alleine mit unseren Gedanken, wird es aber wirklich gut tun, mal wieder etwas Ablenkung zu bekommen und unseren Kopf auszuschalten.

Freiraum auf Reisen

Was außerdem noch ein wenig an uns nagt, ist das Fehlen von richtigen Tagesabläufen und Freiraum. Bei unserer Reise leben wir meist auf recht engem Raum miteinander. Wir teilen uns alle ein Schlafzimmer mit einem Bett und ein Wohnzimmer mit Küche, in dem gegessen, gearbeitet und gespielt wird. Sich aus dem Weg zu gehen ist eigentlich nicht möglich und obwohl wir sehr gut damit klar kommen, gibt es immer mal wieder Tage, an denen es echt an die Substanz geht. Die Mitternachtssonne in Norwegen beschert uns momentan zusätzlich extrem lange und helle Tage, an denen wir alle zusammen sehr zeitig aufstehen und auch alle zusammen nach Mitternacht ins Bett gehen. Wir lieben Norwegen, sehnen uns aber mittlerweile nach einem Land, in dem es abends auch mal dunkel wird und Kinder zeitiger als ihre Eltern schlafen gehen.

Unsere Tagesabläufe variieren sehr von Land zu Land und wir vermissen eine gewisse Konsistenz, die Möglichkeit irgendwo Fuß fassen zu können, sich etwas aufzubauen, irgendwo dazuzugehören.

Kurz: Wir sind in der Midlife-Crisis unserer Reise angekommen.

Aufgeben ist keine Lösung

Da ist also zum einen der Wunsch einfach wieder nach Deutschland zurückzukehren, uns ein kuscheliges Familiennest zu suchen und geregelte Abläufe mit unseren Liebsten zu haben, auf der anderen Seite ist da aber auch das Bewusstsein, dass das, was wir gerade haben, einzigartig ist. Wann werden wir nochmal die Chance bekommen, ohne jeglichen Ballast zu reisen? Sobald wir einmal wieder in Deutschland zurück sind, werden wir wohl nicht so schnell wieder alles auflösen und in die große weite Welt hinausziehen. Ganz im Gegenteil: Mit dem Kitastart, unserer Hochzeit und, wer weiß, vielleicht mit einem zweiten Kind oder einem Haus, werden wir eingebundener sein als jemals zu vor.

Sollten wir dann nicht jetzt unsere Chance nutzen und so lange reisen wie es geht, uns auf die Gründe besinnen, die unserer Reise zugrunde liegen? Anstatt auf das zu schauen, was momentan nicht so gut läuft und uns ins sichere Deutschland zu sehnen, sollten wir überlegen, wie wir jetzt daran arbeiten können, die Reise zu einem vollen Erfolg zu machen. Schließlich war uns von vornherein klar, dass wir nicht den leichtesten Weg gewählt haben und das dieses Abenteuer gewiss nicht nur Vorteile mit sich bringt.

Aufgeben, wenn es einmal schwer wird ist also keine Lösung. Unser Nest in Deutschland kann ruhig noch ein paar Monate warten – Monate, die wir mit unglaublichen Erlebnissen, Erkenntnissen, Abenteuern und Liebe füllen werden, in denen wir wachsen und für unseren Mut belohnt werden. Und wer weiß: Vielleicht schaffen wir es ja, doch noch die ein oder andere Freundschaft zu schließen und finden unser Geheimrezept für das Leben als Reisefamilie. So eine Midlife-Crisis ist doch irgendwann einmal überstanden und dann geht es doch erst richtig los oder?

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